Kann ein Selfie Hinweise auf unsere Gesundheit geben? Immer mehr KI-Anwendungen versprechen genau das: Aus einem einfachen Profilbild sollen Algorithmen Rückschlüsse auf biologisches Alter, genetische Syndrome oder gar Herz-Kreislauf-Risiken ziehen können. Klingt nach Science-Fiction - doch es gibt bereits erste ernsthafte medizinische Ansätze. Gleichzeitig warnen Fachleute vor überhöhten Erwartungen. Und auch ein Selbstversuch zeigt: Die Grenzen solcher Analysen sind schnell erreicht.

Aus ärztlicher Sicht ist die Idee, Krankheiten am Gesicht zu erkennen, keineswegs neu. “Zeichen bestimmter Erkrankungen in Bildern von Gesichtern zu finden, erscheint durchaus vorstellbar”, sagt Sebastian Försch, Facharzt für Pathologie an der Universitätsmedizin Mainz. Der klassische Blick in das Gesicht eines Patienten - etwa zur Erkennung von Anämie, Gelbsucht oder genetischen Syndromen - sei Teil jeder körperlichen Untersuchung. Im Medizinstudium werde das systematisch gelehrt.

Neu ist allerdings die Idee, diesen diagnostischen Blick zu automatisieren - mithilfe Künstlicher Intelligenz. Modelle wie “DeepGestalt” hätten bereits in Studien bewiesen, dass sie mit hoher Treffsicherheit seltene genetische Syndrome bei Kindern anhand von Gesichtsfotos erkennen können. In der Dermatologie seien ähnliche Systeme sogar schon im klinischen Einsatz, so Försch.

Doch wie zuverlässig sind diese KI-Diagnosen wirklich? Ein Selbstversuch zeigt gemischte Ergebnisse: Während das geschätzte Alter korrekt war und einige Hinweise auf Mangelerscheinungen bestimmter Nährstoffe und Vitamine zutrafen, blieben andere Analysen vage und wenig hilfreich. Kritiker warnen zudem vor Datenschutzproblemen und der Gefahr, dass Menschen sich zu sehr auf solche Technologien verlassen könnten, anstatt professionelle medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ein weiteres Problem ist das Vertrauen in die Technologie. Eine Studie zeigte, dass der Einsatz von KI in der Diagnostik zu signifikant weniger Vertrauen in die Ärztin und geringerer Weiterempfehlungsbereitschaft führte. Dies könnte die Akzeptanz solcher Technologien in der breiten Bevölkerung erschweren.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch positive Entwicklungen. Ein neues KI-Tool, das das biologische Alter anhand eines Selfies vorhersagen kann, soll Ärzten helfen, dieses Alter objektiv zu ermitteln und somit bessere Behandlungsentscheidungen zu treffen. Solche Technologien könnten insbesondere in der Onkologie und Kardiologie von großem Nutzen sein.

Insgesamt bleibt die Frage, ob KI-Diagnosen per Selfie gut oder gefährlich sind, offen. Während die Technologie vielversprechend ist und bereits erste Erfolge zeigt, sind die Risiken und Herausforderungen nicht zu unterschätzen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entwicklungen in den kommenden Jahren weiterentwickeln und ob sie das Potenzial haben, die medizinische Diagnostik nachhaltig zu verändern.

Quellen